Lieber Herr Tappeiner, sie bezeichnen sich selbst als „moderner Traditionalist“. Was bedeutet das genau?
Ich verbinde die guten Dinge der alten mit den guten Dingen der neuen Zeit. Vieles was unsere Vorfahren gemacht haben war ja wirklich innovativ und genial, vieles aber auch nur ineffizient und unproduktiv. Die Frage ist: was können wir in unsere Zeit mitnehmen? Ich will Ihnen das an einem Beispiel erklären. Früher war die Rechnung eine ganz einfache: eine gute Ernte bedeutete, dass alle satt wurden. Eine schlechte, dass alle an Hunger litten. Während heute in unserer kapitalistischen und egoistischen Zeit nur jeder an sich und sein Girokonto denkt, war es früher anders.
Was schlussfolgern Sie daraus?
Viele börsennotierte Gesellschaften denken doch nur an das nächste Quartal. Sie müssen ihren Anteilseignern beweisen, dass sie wieder mal um so und so viel Prozent gewachsen sind, den Gewinn mindestens verdoppelt oder verdreifacht haben. Das ist doch irre, ich möchte sagen fast schon völlig krank! Erst recht, wenn ich Meldungen wie diese lese: „Facebook steigerte seinen Umsatz um 47 Prozent. Die Börse erwartete jedoch mehr. Deswegen rauschte die Aktie nachbörslich um zehn Prozent in den Keller“. Wir Menschen wissen heutzutage einfach nicht wann genug ist. Ein Baum kann doch auch nicht ins Unendliche wachsen.
Was machen Sie anders?
Familienkonzerne wie wir denken nicht in Quartalen, auch nicht in Jahren. Wir denken in Generationen und Jahrzehnten. Was nützt es meiner Familie, wenn ich in den vergangenen Jahren auf Teufel komm raus gewachsen wäre, meine Nachfolger aber einen maximal belasteten und völlig ausgenutzten Boden vorfinden? Die Antwort ist: NICHTS! Hochleistungs-Landwirtschaft belastet hochgradig den Boden, die Tiere und die Menschen. Wenn ein Teil dieses Systems wegbricht, dann kommt die Natur und der damit verbundene Lebenskreislauf ins Ungleichgewicht. Das bedeutet nichts Anderes als Super-GAU. Damit entziehen wir uns doch selbst unserer Grundlage zum Leben! Daran sollten ganz, ganz, ganz viele Menschen denken.
Können Sie die Welt retten?
Unsere kleine Welt können wir hier auf dem Oberniederhof im Schnalstal retten, das geht. Im Vergleich zu vielen Global Playern müssen wir zum Glück der Börse nichts beweisen und auch keine Dividenden an raffgierige Aktionäre ausschütten. Das einzige, was wir müssen, ist betriebswirtschaftlich so sinnvoll arbeiten, dass wir gut leben können. Diese Aufgabe muss ich aber bald nicht mehr bewältigen.
Wieso das denn?
Der neue ‚CEO’ des Oberniederhofs heißt Fabian und ist gerade mal 28 Jahre alt.
Und was machen Sie dann den lieben langen Tag?
Ich bin dann so etwas wie der Chef des Aufsichtsrates. Weil ich aber ein Typ bin, den man eher bremsen statt anschieben muss, werde ich wohl ein sehr aktiver Oberaufseher werden und meinem Nachfolger gerne auch mal ungefragt Tipps geben (grinst verschmitzt). Das ist aber alles nicht wichtig. Viel wichtiger ist, dass mein Sohn es im Vergleich zu mir aus freien Stücken machen will. Dieses Jahr ist es dann soweit: am Ende des Jahres wird er den ganzen Hof mit den drei Ferienwohnungen, ein Dutzend Kühen, 30 Hühnern, 6 Ochsen sowie dem Hofhund Abby und die Katze Mimmi übernehmen.
Moment mal. Ausgerechnet Sie wollten nie Bauer werden?
Ich wollte Sport und oder Medizin studieren. Aber Bauer? No way! Die Arbeit, die meine Eltern mir auf dem Hof damals gaben, machte ich nur widerwillig. Ich wollte lieber ausbrechen, raus in die große weite Welt. Stattdessen saß ich hier im Schnalstal, war nur am Zweifeln und am Hadern. Mein zukünftiges Hab und Gut lag wie Blei auf mir.
Wie meinen Sie das genau?
Der Besitz, also der mehr als 700 Jahre alte und denkmalgeschützte Hof, der Boden und die Tiere sind ja Stolz und Bürde zugleich. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich als einziger Sohn von fünf Kindern schon als Hoferbe auf die Welt gekommen bin. Darüber hinaus ist es so, dass man hier in Südtirol eben sehr gerne was besitzt und was hat. Das ist schon toll. Einerseits. Andererseits ist das auch eine unfassbar große Verantwortung und Verpflichtung den Familienbesitz weiterzuführen. Ein verlängertes Wochenende auf Mallorca oder ein USA-Trip war damals undenkbar. Es hieß immer: „Der Hof geht erst Mal vor…“ Deshalb habe ich mich in meinen Sport, also Eishockey und Fußball, geflüchtet.
Wie kam dann der Sinneswandel?
Ich lernte die Liebe meines Lebens kennen: Petra aus Berlin. Sie zog zu mir hierher und dann stellten wir 1997 radikal alles um. Nur so, das war unsere gemeinsame Meinung, hätte der Oberniederhof die Chance weitere 700 Jahre alt zu werden.
Was genau haben Sie anders gemacht?
Erstens den Bauernhof einer klassischen Gewinn-und Verlustrechnung, einer Betriebsanalyse und eines Stärken-/Schwächen-Models unterzogen. Dann habe ich die Lehren daraus gezogen, ein richtiges Prozess-Management verankert und einen Business Plan in 7-Jahres-Zyklen entworfen. Mehr war es nicht.
Sie hören sich an wie ein McKinsey-Berater.
Unsere Landwirtschaft hatte keine Zukunft. Weder der Betrieb, noch wir als Menschen. Also haben wir den ganzen Betrieb ökologisch umgestellt, Führungen für Gäste eingeführt und Ferienwohnungen gebaut. Das wichtigste aber war die artgerechte Haltung der Tiere zu manifestieren. Wir haben richtig Geld in die Hand genommen und für unsere Kühe einen großen und artgerechten Laufstall gebaut. So kann sich jede Kuh heute frei nach Lust und Laune bewegen. Eingepfercht soll kein Tier mehr auf der Welt sein. Keines! Darüber hinaus haben wir mit dem „Schwäbisch-Hällischen“ alte Schweine- und mit „Vorwerk“ und „deutschen Sperber“ alte Hühnerrassen implantiert. Jetzt kann jedes Tier hier in Würde leben.
Ist das nicht mittlerweile bei vielen Betrieben so?
Nein, leider überhaupt nicht. Das Horn wird bei Kühen immer noch oft abgeschnitten, ebenso der Schwanz beim Schwein und der Schnabel beim Hahn. Warum? Um noch mehr Tiere in den Stall zu bekommen! Um noch mehr Kohle mit den armen Viechern zu machen. Das ist ethisch und moralisch absolut nicht mehr vertretbar. Mehr noch: ich bin der Meinung, dass die Bauern ihre Tiere dadurch verstümmeln. Ich bin mir sicher: wenn wir unsere Tiere hier einsperren würden, würde ein Paul und eine Steffi Grüner nicht ein Gramm Joghurt für ihr Vorzeigehaus die „Goldene Rose“ bei uns kaufen. Die beiden sind sehr empathische und sensible Menschen weswegen wir uns hervorragend verstehen.
Warum wollen die Menschen bei Ihnen wohnen?
Weil sie hier die Erdung und Verwurzlung finden. Ich weiß ja, dass wir hier auf einem traumhaften Fleckchen Erde wohnen und arbeiten dürfen. Aber wie es unsere Vorfahren schon gelehrt haben: teilen ist doch das Schönste auf der Welt. Wenn ich sehe, wie die amerikanische Gastfamilie hier gerade aufblüht, dann freue ich mich mit ihnen. Die Amerikaner kennen doch fast nichts was älter als 250 Jahre ist. Früher hätte ich das mit ihnen überhaupt nicht genießen und teilen können, heute dafür umso mehr. Dafür bin ich wirklich dankbar.
Was machen ihre Gäste hier oben so den ganzen Tag?
Alles! Wandern, Mountainbiken, mit dem E-Bike durch Meran fahren, Skifahren, Yoga hier hinten in der Wiese oder unsere Kraftplätze aufsuchen. Aber auch mal die Ruhe genießen und einfach mal nix tun. Langweilig wird es niemandem. Und wenn doch, dann soll er mir im Stall helfen.
Wie informieren Sie sich über neue Trends und Kraftplätze?
Ich bin ja als Regionalentwickler ausgebildet. Also darf ich vielleicht sagen, wenn es um die Themen Tourismus, Infrastruktur und Nachhaltigkeit sowie Biolandwirtschaft geht, dass ich so ein bisschen Bescheid weiß. Darüber hinaus habe ich mir über Jahre hinweg mit Touristikern, Hoteliers und Marketing-Managern ein großes Netzwerk aufgebaut. Bauer sein, heißt ja nicht, dass wir hier auf 1500 Metern kein Facebook, kein LinkedIn und kein Xing haben (grinst).
Vielen Dank für das nette Gespräch und die Einblicke in Ihr Unternehmen.
Interview: Andreas Haslauer
Fotos: StefanSchuetz.com