Close
  • Gruener 2019 06 0653
    Interview mit Harald Gasser
  • Gruener 2019 06 0375
  • Gruener 2019 06 0616
  • Gruener 2019 06 0527
  • Gruener 2019 06 0518
  • Gruener 2019 06 0182
  • Gruener 2019 06 0032

Guter Geschmack & grüne Vision

Lieber Herr Gasser, Sie haben mal gesagt, dass gesunde Ernährung für Sie gar nicht so wichtig sei. „Schmecken muss es“, das ist Ihre Devise. Dennoch haben Sie eine der vielfältigsten und gesündesten Obst- und Gemüseplantagen der Welt. Wie passt das zusammen?
Ich war wirklich noch nie ein Gesundheitsapostel und werde wohl auch nie einer sein. Das erkennen Sie schon alleine daran, dass hier mein Tabak liegt (grinst). Im Ernst: meine Frau ist gegen mich die absolute Ernährungsexpertin. Petra weiß über gesundes und nachhaltiges Essen wahrscheinlich fast alles. Mich interessiert nur eines: der Geschmack!

Was ist für Sie ein guter Geschmack?
Entweder schmeckt es einem. Oder nicht. Das geht aber nur dann, wenn das Lebensmittel nicht überwässert und überdüngt wurde. Was ich damit sagen will, ist, dass der Sellerie oder die Tomate so wachsen sollte wie Gott sie erschuf – also ohne künstliche Zusätze oder irgendwelchen Düngern. Sonst schmeckt doch alles nach langweiligem und austauschbaren Industrie-Mist.

Wie meinen Sie das?
Ich habe Petra mal einem „Gift-Test“ unterzogen.

Äh, wie bitte? Was haben Sie gemacht?
Von den 16 verschiedenen Karotten-Arten, die wir hier haben, habe ich alle mal richtig schön künstlich gedüngt. Zuvor konnte sie jede Karotten-Sorte bei der Blindverkostung verifizieren. Bei der Überdüngung hat sie keine einzige Sorte erraten. Die Karotten waren alles andere als natürlich.

Was für Lehren haben Sie daraus gezogen?
Wir vermeiden alle naturfremden Hilfsmittel im Garten, auf dem Feld und im Wald. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass ein natürlich gewachsenes Ökosystem gesünder, nachhaltiger und produktiver ist als jedes andere. 

Wie sieht das in der Praxis aus?
Was haben Sie heute Morgen gefrühstückt?
Also, ich fange immer mit einem unserer selbst gemachten Brote an, schön mit Butter und Honig. Dann gab es, sozusagen als zweiten Gang, ein Marillen-Kompott mit Müsli. Als dritten und letzten Gang Eier mit Schinken. Das reicht dann auch erst mal, meist aber nur bis zehn Uhr.

Nur bis um zehn Uhr?
Ich bin den ganzen Tag draußen an der frischen Luft, bei Wind und Wetter. Machen Sie das mal! Das ist vielleicht anstrengend. Um spätestens zehn brauche ich dann wieder einen Kuchen von meiner Frau oder ein schön belegtes Wurst- oder Käsebrot.

Mittags kommt dann aber bestimmt was Leichtes auf den Tisch?
Ja, zurzeit wachsen ja die Salate so toll. Das machen wir mittags und abends. 

Mit einem Stück Fleisch…
…aber nur aus der eigenen Produktion. Nicht oft, vielleicht zwei Mal die Woche. Ohnehin ‚kaufen’ wir als Selbstversorger eh nur bei uns selbst ein. Wir haben Zwergzebus, Puten, Hühner und Enten.

Was müssen Sie noch zusätzlich einkaufen?
Nicht viel. Nur Milchprodukte, Reis und Nudeln. Mehr ist es nicht. Und wenn ich mal einkaufen gehe, gibt es für mich ganz viel Schokolade. Am liebsten die ganz süße, ich bin ja so ein Nougat-Typ.

Wie erklären Sie ihren Zwillingen was gesundes Essen bedeutet?
Fragen Sie lieber mal wie Köche mit der harschen Kritik unserer Zwillinge umgehen (lacht). Im Ernst: vor allem Noah hat wirklich sehr gut ausgebildete Geschmacks-Knospen. Wenn wir mal zusammen in ein Restaurant essen gehen weiß er sofort welche Qualität ihm da serviert wird. 

Ernsthaft?
Vor kurzem habe ich bei meiner Mutter eine Milch mitgenommen. Die habe ich den beiden zum Frühstück gegeben. Nach einem Schluck sagte Noah. „Nein, das ist nicht unsere Bio-Heumilch, die trinke ich nicht.“ Er hat wirklich einen unfassbaren Geschmackssinn. Wenn Petra sich nicht sicher ist, ob der Mozzarella noch gut ist oder nicht, fragt sie einfach ihn. Er ist wahrscheinlich einer der wenigen Jungen auf der Welt der ein paar Hundert Gemüse-und Obstsorten kennt. Sowohl bildlich als auch geschmacklich.

Woher er das wohl hat. Sie sind wie Jean-Baptiste Grenouille in dem Patrick Süskind-Buch „Das Parfüm“. Der Franzose hatte den perfekten Geruchsinn, Sie den genialen Geschmackssinn…
…langsam. Woher wollen Sie wissen, dass mein Geschmack genial ist?

Weil bei Ihnen das „Who is who“ der Spitzen-Gastronomie kauft: von Norbert Niederkofler bis Herbert Hintner. Einfach alle.
Okay, so schlecht ist Ihr Argument nicht. Ich bin aber immer auf der Suche nach dem idealen Produkt. Erst neulich habe ich von einem chilenischen Strauch gehört der unfassbar lecker schmecken soll. Das macht mich ganz verrückt: den will ich natürlich haben, nein den muss ich natürlich haben!

Woher finden Sie die Informationen, im Internet?
Da steht nix. Hier gibt es nur ein Motto: „Vielleicht kennt ja jemand von Euch jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt.“ Was ich damit sagen will, ist, dass fast alles unter der Hand weggeht.

Das hört sich nicht nach einem Geschäft mit Senfblumen und Glücksklee-Rübchen an, sondern nach Kokain und Ecstasy.
Wenn Sie das so sagen, klinge ich wirklich wie ein Drogendealer (lacht). Schließlich wollen meine Kunden das Obst und Gemüse von uns immer und immer wiederhaben. Mehr noch: sie kommen davon gar nicht mehr los. Industrie-Gemüse bekommen Sie hingegen überall. Bei mir bekommen meine Kunden jedoch Sorten, die es gar nicht mehr gibt. Und wenn Sie mal einen gefiederten Senfkohl, einen Erdbeerspinat oder japanischen Wasserpfeffer gegessen haben – dann wollen sie nichts Anderes mehr.

Auf Ihrer Homepage steht, dass Sie längst vergessene Obst- und Gemüseraritäten anbauen um das Verschwinden zu verhindern. Wenn ein Dinosaurier aber ausgestorben ist, dann ist er doch ausgestorben.
Ich frage so lange auf dieser Welt herum bis jemand beispielsweise eine knollige Platterbse kennt. Vorher gebe ich nicht auf. Irgendwann habe ich mal eine Frau in XX aufgetan. 200 Euro, 200 Samen knollige Platterbsen. Puh…zwei Tage später waren sie allerdings da und ich super happy. Erst gestern habe ich Leuten, die hier eine Führung machten, die Knollige zum Probieren gegeben: „Harald, die kenne ich“, sagte eine Frau.

Das kann doch gar nicht sein.
Ich bin mir sicher, dass wir das alles in unserem Erbgut abgespeichert haben. Deswegen kennen wir alle auch Sauerkleerübchen, Topinambur, Krosnys und Jicama. Sie müssen jetzt wahrscheinlich erst mal googeln, werden es aber gleich am Geschmack erkennen. (Harald flitzt los und kommt mit ein paar Blättern zurück). Probieren Sie mal!

Boah, das ist ja unfassbar scharf! Ist das Pfeffer?
Japanischer Wasserpfeffer. Viel besser als der normale. Normaler Pfeffer enthält viel zu viele Toxine, der japanische Wasserpfeffer jedoch nicht.

Kommt ein Spitzenkoch zu Ihnen und sagt: „Harald, von dem japanischen Wasserpfeffer brauche ich wieder mal was.“
Wenn er ihn schon kennt, dann ja. Viele Köche aber wissen noch gar nicht was es bei uns auf dem Aspinger Hof alles gibt. Dann gibt es Köche, die wissen zwar was sie wollen, haben aber nicht die geringste Vorstellung, was sie mit dem Produkt anfangen sollen. Das ist für uns alle eine inspirierende und nie enden wollende Kunst. Mich fasziniert sie jeden Tag aufs Neue. Wie gerade die Levkojen.

Was ist das?
Das ist ein Kreuzblütengewächs mit wunderschönen Blüten. Die machen wirklich was her auf dem Teller. Schauen Sie mal diese an. Diese hier riecht süß, fast exotisch. Wenn Sie aber reinbeißen, dann schmeckt sie richtig scharf. Damit muss ihr Kopf erst mal klarkommen. Es gibt aber auch Dinge, davon sollten wir Männer nicht so viel essen, Kapuziner-Kressenknolle zum Beispiel.

Warum?
Die bewirkt das Gegenteil von Viagra. Wenn sie davon zu viel haben, dann wird das heute mit dem Sex wahrscheinlich nichts mehr. 

Wie probieren Sie aber selbst das Gemüse und das Obst?
Immer auf dem Feld, immer roh. Die Frage ist ja immer die eine: ist das auch genießbar? Sicherheitshalber hat Petra mal die Hotline-Nummer von der Vergiftungszentrale in Mailand auf ihr Handy gespeichert.

Und auch mal gebraucht?
Ja, bei so einer Knolle die mir ein befreundeter Händler aus Belgien empfohlen hat. Ich habe reingebissen – und dann weiß ich nicht mehr ganz so viel. Das Ding war vielleicht scharf. Einer meiner letzten Gedanken war: „Harald, wieso pfeifen Deine Ohren jetzt so?“ Als ich dann apathisch wurde, im Gesicht nur noch dunkelgrün, da hat Petra schnell in Mailand angerufen. Sie sagten zu ihr, dass ich in ein paar Minuten wieder völlig zu mir kommen würde. So war es zum Glück dann auch.

Nehmen alle Köche gleich viele Produkte ab?
Ich baue zielgerichtet für fast jeden Koch seine Sachen an. Das beinhaltet aber auch, dass ein Restaurant viele unterschiedliche Sorten abnimmt.

Wieso?
Weil ich hier alles in einer Mischkultur anbaue. Natürliche Feinde pflanze ich sogar direkt nebeneinander. Wenn ich zum Beispiel Mangold und Knollensellerie vis-à-vis säe, bekämpfen sich die beiden wie wild. Der Knollensellerie ist stärker, der Mangold schwächer – so kann ich Mini-Mangold zum Verkauf anbieten. Und wenn alle Pflanzenfamilien vertreten sind – also Kohlgewächse, Bete, Zwiebeln, Karotten, Knollengewächse, Blumen – dann treten viele Probleme, die bei Monokulturen typisch sind, erst gar nicht auf. Selbstverständlich habe ich über die Jahre hinweg eine Matrix erstellt wer ideal zu wem passt. So weiß ich ganz genau welcher Nachbar den anderen beim Wachstum unterstützt und ihn sogar vor Krankheiten schützt.

Ein Beispiel bitte.
Basilikum pflanze ich gegen Mehltau zwischen unseren Tomatensträuchern an, Lavendelbüsche zwischen Kohlgemüse gegen Kohlfliegen.

Was passt gar nicht?
Kürbis neben Kartoffel. Beide brauche sehr viele Nährstoffe, beide bekommen aber nicht genug ab. Das ist in etwas so als würden Sie zwei Männern die beide richtig Kohldampf haben nur einen Teller geben. Auf Dauer eher schwierig, irgendwann macht einer Stress.

Und wenn ein Koch nicht viele unterschiedliche Sachen bei Ihnen kauft, sondern sich nur die Rosinen rauspickt?
„Du bekommst ab heute nichts mehr“, habe ich beispielsweise mal zu Christian Jürgens, dem deutschen Spitzenkoch, gesagt. Eine Partnerschaft soll ja ein Verhältnis sein in der beide Parteien zufrieden sind. Das war ich aber nicht mehr, deswegen zog ich die Reißleine.

Woher weiß ich aber als Koch was Sie heute im Angebot haben?
Ganz einfach: indem er meine Angebots-Mails liest. Diese Woche gibt es unter anderem Berglauch, Amaranth-Sprossen, Eiskraut, Kapuzinerbart, Lakritz-Tagetes, Spargelsalat, Senfkohl, Wasabino, afghanischer Rucola, römischer Sauerampfer und Blutsauerampfer, Austernkraut, Baumspinat, Bronzefenchel, Knoblauchsrauke, Bananenminze-Spitzen sowie viele Blüten vom Rettich, Wasabi-Rucola und Kastanien.

Die wachsen und gedeihen aber nur so gut, weil sie Schnecken wie Haustiere halten.
Meine Mutter brachte mir immer bei dass man Schädlinge bekämpfen müsse. Für mich war es der falsche Weg. Was will denn eine Schnecke? Fressen! Wieso gebe ich ihr also nicht was zu fressen? Ich habe schon früh angefangen 1500 Industrie-Salate zu säen.

Wieso das denn?
Weil Schnecken nur abgestorbene Pflanzen futtern.

Und was hat das mit den Salatköpfen zu tun?
Durch die industriell behandelten Hormone riecht der Salat für eine Schnecke wie tot, also abgestorben. Also habe ich neben meinen Beeten ein großes Industrie-Salat-Feld aufgezogen. Und siehe da, von da an ließen die Schnecken meinen Salat in Frieden.

Das nenne ich mal clever.
Da wir alle auf dieser einen Welt leben, sollten wir alle gemeinsam Lösungen finden wie wir am besten zusammenleben können. Wenn wir die Schnecken vergiften oder erschlagen, legen sie doch nur noch mehr Eier. Wenn ich ihnen aber einen Weg anbiete, auf dem wir friedlich zusammen leben können, dann ist doch das die beste Lösung für uns alle. Die Schnecke hat ja schließlich hier auf der Erde einen Job zu erledigen: absterbendes Pflanzgut zu fressen. Diesen Job sollten wir ihr auf keinen Fall nehmen.

Vor was haben Sie Angst?
Hagel, Hagel, Hagel. Sie müssen sich vorstellen, dass bei den knapp 5000 Quadratmetern hier ein Brutto-Verkaufspreis von rund 50000 Euro wächst. Mittlerweile habe ich meinen Hof aber so aufgestellt, dass nur maximal 20 Prozent der Ernte futsch sein können – alles andere wächst im Boden.

Vielen Dank für das nette Gespräch und die Einblicke in Ihr Unternehmen.

Interview: Andreas Haslauer
Fotos: StefanSchuetz.com